SCHNITTSTELLE FETTGEWEBE

Zwischen Stoffwechsel und Entzündung puffert das Fettgewebe

Alle Säugetiere verbrennen Fett. Es ist die Energiequelle Nummer Eins, nachhaltig und effizient. Vor ungefähr 60 Jahren hat jedoch ein trauriger Paradigmenwechsel begonnen, den ich exemplarisch durch zwei Sätze aus zwei unterschiedlichen wissenschaftlichen Publikationen aufzeigen möchte. Mit dem Cholesterin begann die Diabolisierung von Fett und die maßlose Überschätzung der Bedeutung der Kohlenhydrate.

Aus dem Jahr 1963, aus dem British Journal of Nutrition

„Jede Frau weiß, dass Kohlenhydrate dick machen. Diese Feststellung gehört zum Allgemeinwissen. Nur wenige Ernährungswissenschaftler würden dem wohl widersprechen.“

 

Aus dem Jahr 1994, aus dem American Journal of Physiology

„... Fettleibigkeit kann als eine Kohlenhydratmangelerkrankung angesehen werden. Mehr Kohlenhydrate anstelle von Fett zu sich zu nehmen, ist der geeignete diätetische Schritt einer therapeutische Gesamtstrategie. „

 

Seitdem sich diese Sicht durchgesetzt hat, sind wir dicker und kranker geworden. Die auf chronischen Entzündungen gedeihenden chronischen Erkrankungen breiten sich aus wie ein Lauffeuer. 

Ist es nicht erstaunlich, wie sich die Wissenschaft und ihre Sicht auf den Organismus im Laufe der Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte verändert? Man war vor nicht allzu langer Zeit noch der Meinung, dass Nervenzellen und Nervengewebe keinerlei Potenzial zur Regeneration besäßen, auch die Muskelzelle wurde als nicht vermehrungs- und anpassungsfähige Zelle beschrieben. Noch in den 1970ern war man überzeugt davon, das Neugeborene keine Schmerzempfinden hätten. 

Die Einstellung zum Fett und Fettgewebe ist, wie man den Zitaten entnehmen kann, seit 50 Jahren einem ungeheuren Wandel unterworfen. Noch im 19. Jahrhundert wurde Diabetikern empfohlen fettreich und kohlenhydrat arm zu essen. Heute behandeln wir die Zuckerkrankheit mit Zucker und Kohlenhydraten. Klingt das nicht abstrus? 

Als Schönheitsideal gilt spätestens seit Twiggy in den 60ern, dass nur wer mager ist, schön ist. Wir alle leiden und die Diäten erblühen auf unserem Leid. Die Medizin betrachtet Fett nicht nur als hässlich, sondern generell als gesundheitsgefährdend. Dabei wird alles: das Fett, das Fettgewebe, das Cholesterin, das Fettgewebe, das Übergewicht und die Fettleibigkeit in einem großen Topf vermischt. Mode und Medizin haben sonst wahrlich wenig gemein, aber was das Fett betrifft, stehen sie Seite an Seite, ein teuflischer Verstärkungsprozess. Medien, Ökonomie und Politik ergänzen das tödliche Gebräu der Verteufelung von Fett.

Doch die Fettzellen und das Fett, das in ihnen gespeichert wird, verdienen ganz und gar nicht, in diesem Licht zu erscheinen. Sehr langsam beginnt der Rehabilitationsprozess.

Ich freue mich zu beobachten, dass sich Wissenschaftler aufgrund der Experimente und Studien gezwungen sehen, die Mauern, die sie selbst im Körper errichteten, wieder niederzureißen. Sie müssen zunehmend erkennen, dass die von ihnen einmal gezogenen Grenzen den Forschungergebnissen nicht nur nicht mehr entsprechen, sondern die Arbeiten sogar behindern. Die alten Modelle eignen sich nicht mehr den Körper zu untersuchen. Die Trennung zwischen Nerven- und Immunsystem ist bereits gefallen, nun auch die zum Fettgewebe. 

Fettgewebe im Zentrum der Stoffwechselregulation

 

Das Fettgewebe ist nicht nur ein Energiespeicher, sondern ein sehr aktives Organ, das Hormone und Immunfaktoren produziert. Außerdem setzen die Fettzellen ein breites Spektrum an löslichen Botenstoffen frei, die bei der Regulation von Appetit und Gewicht eine zentrale Rolle spielen. Leptin ist eine der Substanzen, die eingebaut in ein dichtes Netz von Regelkreisen und Rückkoppelungsschleifen unser Essverhalten steuert.

 

 

Das Fettgewebe schlägt eine Brücke zum Immunsystem, zentralem Nervensystem und Stoffenwechsel. Es ist ebenso ein Bindeglied wie eine Pufferzone der Regulation zwischen Stoffwechsel und den unterschwelligen Entzündungsprozessen. Es ist für unser Wohlbefinden unersetzlich. Wogegen Fettleibigkeit - das Phänomen einer Regulationsstörung und eines Ungleichgewichts im Energiebedarf - ist ohne Zweifel ungesund und macht chronisch krank. 

Eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten belegen, dass es sich beim Fettgewebe um ein aktives lebendiges Organ handelt, das einen wesentlichen Teil unseres Organismus ausmacht. Die Fettzelle produziert und setzt eine Vielzahl an Hormonen und Kleinsteiweißsubstanzen (Peptide) frei, die bei allen Regulations- bzw. Kommunikationsprozessen in den Organen und zwischen diesen, in den Zellen und zwischen den Zellen, ungeachtet der Funktion eine unverzichtbare Stellung einnehmen. Wissenschaftler haben molekulare Signalwege entdeckt, die das Fettgewebe und das Immunsystem miteinander verknüpfen. Sie fanden heraus, dass viele aktive Moleküle, die bisher nur dem Immunsystem zugeschrieben wurden, auch von den Fettzellen freigesetzt werden. 

Wie in allen komplizierten System passieren auch in unserem Organismus ständig Fehler. Signale gehen verloren, werden fehlinterpretiert oder aber einfach nicht mehr gehört. 

Fettleibigkeit ist die Folge solcher Fehler auf den verschiedensten Ebenen. Übergewicht kann das erste Zeichen für eine Fehlregulation des Stoffwechsels sein. Es ist spätestens dann an der Zeit, seine Essgewohnheiten zu hinterfragen, um nicht chronisch zu erkranken. Wenn wir erst einmal die nächste Stufe, die Fettleibigkeit, erreicht haben, ist der Krankheitsprozess angestoßen. Bluthochdruck, Diabetes Typ-2 und Insulinresistenz sind meist schon nachweisbar.